Das Scheitern des Christian L. – Ein Kommentar

Seit dem Wochenende verbreitet sich das Video einer Rede von FDP-Chef Christian Lindner aus dem nordrhein-westfälischen Landtag wie ein Lauffeuer in den sozialen Netzen und findet insbesondere in den einschlägigen Foren und Gruppen für Startups großen Anklang. Stein des Anstoßes für Lindners Wutrede war ein Zwischenruf aus der SPD-Fraktion über den Lindner sich geärgert hatte. In Rumpelstilzchen-Manier polterte der FDP-Vorsitzende über den Umgang mit gescheiterten Pionieren, kritisierte die Stigmatisierung von erfolglosen Startup-Unternehmern und forderte eine neue Fehlerkultur. Rhetorisch leistete Lindner damit einen qualitativ hochwertigen und kurzweiligen Beitrag zur Landtags-Debatte und in der Sache liegt er durchaus nicht falsch. Die Netzgemeinde verfällt in kollektives Lob für Lindners (mutmaßlichen) Einsatz für die Gründerszene. Das kann man so sehen, muss man aber nicht.

Findige Netz-Rechercheure haben zwischenzeitlich die Geschichte der insolventen Moomax GmbH ausgegraben, deren Mitgründer Lindner um die Jahrtausendwende war. Moomax verbrannte angeblich einen siebenstelligen Betrag, enthalten ein nicht unerheblicher Anteil öffentliche Fördergelder. Es ist erstaunlich, dass Lindner in seiner Rede persönliche Erfahrung mit der Stigmatisierung als erfolgloser Gründer anführt, wenn man bedenkt, dass er von 2000 bis 2009 Abgeordneter im Landtag in NRW war, wohlgemerkt für eine Partei, deren Kernkompetenz nach eigenen Angaben das Thema Wirtschaft ist. Auch bei der weiteren Betrachtung seines Lebenslaufs und der politischen Karriere lässt das Scheitern als Startup-Unternehmer  keine Rückschlüsse auf einen zwischenzeitlichen Karriereknick oder Hemmnis beim Aufstieg zum Parteivorsitzenden zu. Die Frage, ob dies auf Lindners außerordentlichen Qualitäten als Nachwuchspolitiker oder an mangelnden personellen Alternativen bei der FDP zurückzuführen ist, darf jeder für sich beantworten.

In seiner Funktion als FDP-Chef nimmt man Lindner die Erfahrung mit dem Scheitern dann tatsächlich ab. Nach dem Verschwinden der FDP aus dem Bundestag spielt seine Partei auch in immer weniger Landtagen eine Rolle. Und genau hier sehe ich die Motivation für Lindners Rede und Gebaren als Robin Hood für Startups und Existenzgründer, die mit ihren Ideen den großen Wurf nicht geschafft haben. Die Begriffe „Gründung“ und „Startup“ verkommen leider zunehmend zu wirtschaftspolitischen Buzzwords. Dem Trittbrett in diesem Themenbereich droht bereits aktuell wegen akuter Überfüllung die Schließung.

Auf dem Trittbrett wird es eng

Lindner scheint erkannt zu haben, dass seine Partei in der Zeit der (Mit-)Regierungsverantwortung das Thema Existenzgründung als Teilbereich der Wirtschaftskompetenz anscheinend verschlafen oder als Geheimprojekt betrieben hat, vom dem der Wähler auf keinen Fall Wind bekommen durfte. Nachdem zwischenzeitlich sogar die Bundeskanzlerin und der Wirtschaftsminister (siehe auch Artikel: Siggis Planspiel Börse 2.0) sich der Gründerförderung gewidmet und z.T. Maßnahmen in die Wege geleitet haben, drängte die Zeit, ebenfalls auf diesen Zug aufzuspringen. Der Zwischenruf des SPD-Abgeordneten bot hier die perfekte Steilvorlage für eine öffentlichkeitswirksame Positionierung und das temporäre Abwenden der Gefahr, als Partei vollkommen in der Versenkung der Wahrnehmung durch den (Nachwuchs-)Wähler zu verschwinden. Nur so kann ich mir Lindners diebisches Grinsen, das Reiben der Hände und die Aussagen: „So, das hat jetzt Spaß gemacht“ und „Bälle die man auf den Elfmeterpunkt gelegt bekommt muss man verwandeln“ erklären. Bei den vielen Eigentoren die sich sein Verein in der jüngeren Vergangenheit geschossen hat, sei ihm dieser Treffer gegönnt.

Auf die Gefahr hin, dass ich Christian Lindner mit meiner Einschätzung und dem unterschwellig formulierten Populismus-Vorwurf zu Unrecht kritisiere, folgender Vorschlag: Lieber Herr Lindner, wenn Ihnen aus persönlichem Interesse an der Verbesserung der Fehlerkultur in Deutschland und der Unterstützung von Startups gelegen ist, freut sich die Stuttgarter Startup Community über Ihre Teilnahme an der FuckUp Night Stuttgart #2 am 12. Februar 2015 in Esslingen. Weil die Community-Förderer und regionalen Initiativen den Mehrwert vom Austausch über das Scheitern und das Lernen voneinander bereits lange erkannt haben, sprechen im Rahmen dieses Events drei Speaker über ihre Fuckups (Startups die gegen die Wand gefahren wurden). Lassen Sie doch die Teilnehmer als Überraschungsgast an Ihren eigenen Erfahrungen als Startup-Unternehmer teilhaben. Obwohl die Veranstaltung bereits ausverkauft ist, bin ich sicher, dass die Organisatoren Sie im Programm unterbringen werden.

 

Bild: Schälte, Bernd | © Alle Rechte beim Landtag NRW | Bildarchiv des Landtags Nordrhein-Westfalen

1 Kommentar zu „Das Scheitern des Christian L. – Ein Kommentar“

  1. Pingback: Zweite FuckUp Night Stuttgart - Dirks Hirnableiter

Kommentar verfassen

Top