Aufbruch – aber noch kein Umbruch

Aufbruchstimmung in der Stuttgarter Startup-Szene – davon kann man mit Fug und Recht sprechen, wenn man auf den Reigen von Projekten blickt, die in diesem Sommer an den Start gegangen sind. Accelerate-Spaces, Startup Campus Stuttgart, Code_n Spaces – fast gleichzeitig ist hier der Startschuss gefallen für Konzepte, die sich durchaus unterscheiden und die jeweils ihren eigenen Markt suchen. Auch auf den Podiumsdiskussionen zum Thema Innovation oder Industrie 4.0 spürt man, wie allerorten in den Chefetagen das Bewusstsein wächst, dass die hiesige Wirtschaft an das Thema Innovation künftig vollkommen anders herangehen muss.

Die EnBW zeigt in Karlsruhe mit ihrem Innovationscampus schon ein wenig, wie ein solcher radikaler Mentalitätswandel in einem größeren Unternehmen aussehen könnte. Das Konzept dort wurde aus einer existenziellen Krise heraus geboren, dem Zusammenbruch des bisherigen Geschäftsmodells mit großen Kraftwerken und Netzen. Doch das Stichwort “Krise” macht im Sonderfall EnBW den entscheidenden Unterschied. Der hiesigen Wirtschaft, insbesondere der Automobilbranche und ihren Zulieferern geht es immer noch recht gut. Viele Firmen aus dem PS-Sektor haben im vergangenen Jahr erst einmal kräftig zugekauft, um auf diesem Weg ihre Zukunft zu sichern. Eine radikale Bereitschaft zum Umbau der Strukturen und des ganzen Denkens im Unternehmen bedeutet das nicht.

Mir fällt beim Blick auf die Autobranche immer ein, wie Elon Musk mit seinem Tesla das Thema angeht. Musk hat von Anfang an Elektromobilität radikal gedacht, ein reines Elektroauto entwickelt, mit den Superchargern eine eigene Infrastruktur aufgebaut – und ein Image geschaffen, welches die für technische Revolutionen so wichtigen “early adopters” fasziniert. Das Auto ist immer noch teuer, aber es leistet Pionierarbeit, insbesondere in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit. In Deutschland dümpeln Elektroautos hingegen vor sich in. Unsere Autobranche verkauft lieber Elektro-Hybrid-Fahrzeuge. Sie bedeuten eben keinen vollkommenen Neuanfang, keine Disruption.

Etablierte Unternehmen in Deutschland stellen sich den Sprung in ein neues Innovationszeitalter lieber als Evolution vor denn als totalen Umbruch. In der Tat, Tesla ist weiterhin eine hochriskante Wette, die auch mit dem Scheitern des Unternehmens enden kann. Doch kein Daimler oder Bosch – und auch kein innovativer Mittelständler – braucht wie Elon Musk gleich die ganze Firma aufs Spiel zu setzen. Dass am vergangenen Wochenende Daimler und Porsche vor allem darüber klagten, dass der Staat nicht die Infrastruktur für die E-Mobilität zur Verfügung stelle, ist aber eher peinlich. Wenigstens in Teilsegmenten könnte man größere Sprünge wagen. Es ist leicht, auf Podien eine neue Gründerkultur zu fordern. Es ist schon schwieriger, den Worten Taten folgen zu lassen. Geld ist da noch nicht einmal das zentrale Problem: Hier mal einem Startup-Projekt ein paar Geräte zu sponsern, auf Tagungen vorbeizuschauen oder Gründern auf die Schultern zu klopfen ist das eine. Doch eine neue Innovationskultur bedeutet auch, interne Machtstrukturen in Frage zu stellen. Sie bedeutet Loslassen und Vertrauen – für in der Hierarchie traditioneller Unternehmen groß gewordene Manager ist das ein Kulturbruch, für den viele, die verbal den Gründergeist beschwören, noch nicht gewappnet sind. Wenn es um das “commitment” geht, um das Risiko des Scheiterns, das auch derjenige Entscheider eingehen muss, der sich auf echtes Startup-Denken einlässt, dann wird es immer noch problematisch.

Man muss deswegen den Daumen drücken, dass die neue Stuttgarter Startup-Kultur auch ökonomisch ein Erfolg wird. Das Besondere an ihr ist nämlich, dass sie mehr etwa als das Berliner Gründerbiotop auf die Kooperation mit der Industrie und dem lokalen Mittelstand angewiesen ist, weil sich in der Region viele Ideen auf deren Produktions- und Geschäftsprozesse beziehen. An Projekten und Plattformen mangelt es nicht – nun muss auch die regionale Wirtschaft den Sprung wagen.

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Bildquelle: Tsahi Levent-Levi unter CC-Lizenz BY 2.0

2 Kommentare zu „Aufbruch – aber noch kein Umbruch“

  1. Ich freue mich auf diese neue Reihe von Beiträgen, denn bereits dieser erste Beitrag hat mir sehr gut gefallen.

    Für mich geht der Weg zu einer Start-Up Kultur in großen Konzernen jedoch nicht zwangsweise über die Schreckgespenster „Kulturbruch“ oder „interne Machtstrukturen in Frage […] stellen“. Ziel der ganzen Übung ist – auch wenn das nicht immer so deutlich wie von Ihnen gesagt wird – eine bessere Innovationskultur. Hier sind die süddeutschen Konzerne gar nicht so schlecht. Zumindest wenn man den Innovationsbegriff einmal auseinander nimmt und Innovation als die Kommerzialisierung einer technischen Entwicklung sieht.

    Die Fähigkeit technische Lösungen zu entwickeln, hat diese Konzerne zu dem gemacht, was sie heute sind. Das wird keiner in Abrede stellen. Bei der zweiten Hälfte der Innovation, d.h. auf Seiten der Kommerzialisierung, ist man hingegen häufig noch sehr auf das klassische Geschäft fokussiert. Nur ist diese Fokussierung vermutlich unkritisch für das Entstehen einer ersten Start-Up Kultur in den Konzernen. Meine Wahrnehmung ist, dass die Technologien in den Konzernen sehr vielfältig und universell sind. Dieses erlaubt es, dass eine Start-Up Kultur in den Konzernen entstehen kann, ohne ihr klassisches Geschäft zu kannibalisieren. Ein Auto braucht keinen Tank, aber ein Elektromotor muss auch nicht in einem Auto, einer Bohrmaschinen oder einem Wäschetrockner stecken.

    Ich widersprechen Ihnen nicht, wenn Sie andeuten, dass die Konzerne etwas mehr disruptive Innovationsfreude an den Tag legen dürften. Ich will es nur nicht zur Aufgabe der (Corporate-)Start-Up-Kultur machen, in den Konzernen disruptiv zu wirken. Selbst wenn Scheitern en vogue ist ;).

    Richtig ist auch, dass wir das Besondere dieser Region/unserer Industrie nutzen sollten. Dafür muss man nicht alles neu machen, sondern das Neue mit dem Alten verknüpfen. Es will sehr genau geprüft sein, in welchen Firmenkulturen der internationale Werte der Produktions- und Geschäftsprozesse unserer Region erhalten bleiben kann.

    Noch einmal besten Dank.

    1. Herzlichen Dank Christian für den ausführlichen, kritisch-konstruktiven Beitrag. Ich glaube, dass wir inhaltlich gar nicht so weit voneinander entfernt sind: Es gibt keinen Zweifel, dass wir wir in der Region unsere bisherige traditionelle, insbesondere technologische Entwicklungskompetenz hegen und pflegen müssen. Aber sie wird alleine nicht mehr ausreichen. Und da wünsche ich mir einfach Mut zu mehr frischer Luft!

      Andreas

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