Wir haben Mona und Matti vom gemeinnützigen WirGarten Verein in einem spannenden Interview unsere Fragen gestellt. Die beiden haben ein Social Franchise entwickelt – das WirGarten System – mit dem sie Gründungen, Hofnachfolgen und Umstrukturierungen von Gemüsebaubetrieben vereinfachen.
In Deutschland haben 75% aller bestehenden Gemüsegärtnereien keine gesicherte Nachfolge, weil die nächste Generation den hohen Arbeitsaufwand und Kapitalbedarf für Land, Gebäude und Maschinen nicht aufbringen möchte und kann. Unternehmer:innen von Gärtnereien haben ein extrem hohes Unternehmensrisiko, aber wenig unternehmerische Chancen, weil die Preise für Gemüse niedrig sind – und damit auch die Gehälter. Die Lösung des WirGarten-Systems ist es, dass Menschen und Firmen in der Region, die mit frischem und leckerem Gemüse versorgt werden wollen, die Gärtnerei durch einjährige Abos und eine Einlage in die Genossenschaft finanzieren. Das ermöglicht eine Fortführung bestehender Gärtnereien.
Die Mitgliedsbetriebe in ihrem Social Franchise sind eigenständige Genossenschaften, die “WirGarten” heißen und sich Name, Marke, IT und verschiedene weitere Ressourcen und Services teilen. Aktuell entsteht der WirGarten Ludwigsburg als Hofnachfolge der familiengeführten Demeter-Gärtnerei Willmann. Für den WirGarten Ludwigsburg suchen die beiden aktuell ein:e Gemüsebaumeister:in (m/w/d) für die Betriebsleitung und eine:n Geschäftsführer:in (m/w/d) für Marketing und Community. Genauere Infos zu den beiden Stellen findest du auf der Website des WirGarten.
Unsere Fragen:
Wie kam die Idee für das WirGarten-System?
“Ursprünglich sollte das WirGarten-System vor allem Neugründungen erleichtern. Gemüsebau bzw. Landwirtschaft sind extrem komplex, weil Erzeuger:innen in und mit der Natur arbeiten müssen und den zunehmenden Herausforderungen des Klimawandels ausgesetzt sind, so dass wir alle anderen Aufgaben – vom Finden eines Namens, der Erstellung einer Corporate Identity, dem Aufsetzen einer Website und einer Mitgliederverwaltung usw. – durch zentrale Services erleichtern wollten. Wir haben aber dann ziemlich schnell in unserer eigenen Gründung in Lüneburg gemerkt, dass es neben Marke und IT auch noch eine umfassende Beratung und Begleitung braucht, die das Geschäftsmodell gut kennt, und haben dann in den letzten zwei Jahren noch ein Berater:innen- und Partnernetzwerk für das Social Franchise aufgebaut.
Neben dem Social Franchise lag uns aber von Anfang an auch die Organisationsform eines WirGartens am Herzen: Durch die Genossenschaft kommt regionales Kapital in die lokale Landwirtschaft, Gründer:innen bzw. Hofnachfolgende brauchen sich nicht mehr privat zu verschulden, weil eben die Genossenschaft Betriebsmittel und ggf. Land und Gebäude kauft, und durch die solidarische Direktvermarktung (Solawi) an die Mitglieder mit einjährigen Abnahmeverträgen kommt eine Planungssicherheit in die Betriebe – und die höchstmögliche Wertschöpfung.”
Wie läuft die Verwandlung in eine Genossenschaft ab?
“Das kann man so pauschal nicht sagen, denn es kommt auf die Organisations- und Rechtsform des bestehenden Betriebes und auf die Übergabekonditionen (Kauf und/oder Pacht von Land, Gebäuden, Betriebsmitteln) an. Im Fall des WirGarten Ludwigsburg waren wir uns mit Rechtsanwalt und Steuerberater einig, dass es die beste Lösung ist, wenn die Genossenschaft neu gegründet wird und dann die Betriebsmittel den bestehenden Gesellschaften abkauft – weil das Land und die Gebäude schon einem gemeinnützigen Verein gehören und langfristig an die Genossenschaft verpachtet werden können.
Das ist allerdings nur ein kleiner Aspekt des gesamten Betriebsnachfolgeprozesses, der sich über ein, zwei Jahre zieht – vom Erstkontakt über die Vorprüfung, die Entwicklung eines gemeinsamen Zielbildes mit den Hofabgebenden, der Klärung der Übergabekonditionen… Für uns ist der WirGarten Ludwigsburg jetzt der erste Praxistest für unser Hofnachfolgemodell, abschließend können wir die Frage wahrscheinlich erst in ein paar Jahren beantworten.”
Was ist der Unterschied zwischen der Gärtnerei Willmann und dem WirGarten Ludwigsburg?
“Die Gärtnerei Willmann soll sich ja schrittweise in den WirGarten Ludwigsburg entwickeln, von daher bleibt erstmal ganz viel so wie vorher – der Ort, der Anbau, das Team, ein Großteil der Vermarktung. In der Landwirtschaft ist man – anders als in anderen Branchen – an den natürlichen Jahreszyklus gebunden, da entscheide ich im November mit der Anbauplanung über die Produktion für das ganze Jahr. Der größte Unterschied wird sein, dass die Gärtnerei zum Jahreswechsel eine Genossenschaft und damit ein Gemeinschaftsunternehmen wird, und nicht mehr – wie bisher – ein privater Familienbetrieb ist. Und im Januar 2024 startet schrittweise ein neuer Vermarktungskanal, die Solidarische Direktvermarktung (Solawi). Beides – Genossenschaft und Solawi – sind ja mitgliedergetragene Modelle, d.h. die Gärtnerei wird ein deutlich offenerer Ort als sie bisher schon ist, und für die Geschäftsführung werden Themen wie Kommunikation und Communitymanagement neu hinzukommen.”
Was ist Eure aktuell größte Challenge?
“Damit der WirGarten Ludwigsburg entstehen kann, braucht es unbedingt ein motiviertes Geschäftsführungsteam, das die Genossenschaft aufbaut und die Leitung der Gärtnerei von den Hofabgebenden übernimmt – natürlich eng begleitet von uns. Dafür suchen wir aktuell eine:n Gärtnermeisterin als Betriebsleitung, und eine Person, die als Geschäftsführung sehr stark Marketing, Kommunikation und Communitymanagement verantwortet, die Gärtnerei in der Region vernetzt, Kooperationen mit Firmen und anderen Organisationen aufbaut und vor allem viele Mitglieder für die Genossenschaft gewinnt.”
Was sind Eure Tipps für andere Gründer:innen?
“Als Gründer:innen des WirGarten-Systems vielleicht: Sich nicht beirren lassen von denen, die deine Idee am Anfang kritisieren. Wir haben außerdem von Beginn an Ressourcen in Organisationsentwicklung, Fortbildung und Teamsupervision investiert und beenden als Team jede Woche mit einem Checkout, in dem wir Erfolge feiern, aber auch Learnings besprechen und uns gegenseitig Rückmeldung geben.”
Was ist Eure Zukunftsvision mit dem WirGarten?
“Die ganz große? Dass es in jeder mittleren und größeren Stadt einen WirGarten gibt, aus dem die Menschen in der Region mit frischem und regionalem Bio-Gemüse versorgt werden. Dass lebendige Orte entstehen, an denen Konsument:innen wieder engen Kontakt zur Landwirtschaft haben, dass landwirtschaftliche Arbeit und Lebensmittel dadurch wieder mehr wertgeschätzt werden. Unser Ziel sind ganz klar attraktive Jobs in der Landwirtschaft und wir hoffen natürlich, dass viele Betriebe, die jetzt schon bestehen, erhalten bleiben, und wir gemeinsam mit den Hofabgebenden tragfähige Zukunftsmodelle entwickeln können.
Mit dem Betrieb in Ludwigsburg, der unser zweiter Pilot ist, können wir dann auch unsere Vision von einem Netzwerk der WirGarten-Genossenschaft umsetzen – mit gemeinsamen Einkauf, Fortbildungen, Austausch, neuen Services… Pläne und Ideen haben wir auf jeden Fall viele…”
Vielen Dank Mona und Matti! Weiterhin viel Erfolg!