Siggis Planspiel Börse 2.0 – Wie der Bundeswirtschaftsminister das Pferd von hinten aufzäumt

Die Ankündigung von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, die Bundesregierung beabsichtige gemeinsam mit der Deutschen Börse AG eine Börse 2.0 zu initiieren, lief letzte Woche über alle Ticker und ließ sowohl Börsianer als auch die deutsche Startup-Community aufhorchen. In Eschborn am Hauptsitz der Deutschen Börse AG dürften nach Gabriels Ankündigung einige Fläschchen geleert worden sein, angesichts des schwergewichtigen Testimonials das man hier für den Aufbau eines „neuen“ Börsensegments gewinnen konnte. Die Abteilungen für Lobbyarbeit, Kommunikation und Marketing dürften auch heute unbesetzt bleiben, weil die beteiligten Akteure beim Börsenplatzbetreiber vermutlich immer noch völlig berauscht vom erzielten Werbewert von Gabriels Ausführungen sind.

Nüchtern betrachtet bleibt die Frage, ob das Bundeswirtschaftsministerium hier einen großen Coup für die Förderung von Innovation und Gründergeist in Deutschland gelandet hat oder lediglich die Konfetti-Parade und das Catering für die Eröffnung eines neugestalteten Börsensegments sponsert.

Brauchen deutsche Startups tatsächlich mehr Möglichkeiten Kapital an einer Börse einzusammeln oder bedarf es eher zu einem früheren Zeitpunkt des Unternehmensaufbaus staatliche Impulse und finanzielle Erleichterungen für kreative und mutige Köpfe die Unternehmen aufbauen wollen? Theoretisch betrachtet, ist der Gang an die Börse mehr oder weniger das logische Ende der Startup-Phase eines Unternehmens. Warum? Weil mit dem IPO in der Regel Gründer und/oder Investoren aus der Pre-IPO-Phase Anteile abgeben und den sogenannten Exit vornehmen. Die Besitzverhältnisse ändern sich, die Karten werden neu gemischt und die Unternehmen müssen sich in einem anderen Umfeld und anhand anderer Kriterien beweisen und werden bei Misserfolg ggf. gnadenlos abgestraft. Es ist definitiv ein politischer Irrglaube, dass man als Startup mal eben so im Vorbeigehen frisches Kapital an der Börse generiert. Vor das IPO hat die Gesetzgebung, insbesondere als Konsequenz aus dem Niedergang des Neuen Markts Ende der 90er Jahre und alle darauf folgenden Börsen- und Finanzkrisen, die (Finanzmarkt-)Regulierung gesetzt. Fast alle Gründer sind Business-getrieben und werden sich sehr genau überlegen, ob sie den von Formalitäten geprägten Gang zum Börsenparkett in Angriff nehmen wollen.

Eine völlig andere Interessenlage existiert dagegen bei den professionellen Investoren und der Beraterbranche, die Startups auf dem Weg zum IPO begleitet und dabei kräftig (mit)verdient. Bei diesen Akteuren dürfte das Interesse an einem neuen Börsensegment für junge Unternehmen naturgemäß hoch sein.

Die Börsenglocke als Antrieb?

Ist der Antrieb für Gründungs-Willige tatsächlich die Aussicht darauf, einmal im Leben auf dem Frankfurter Parkett die Glocke läuten zu dürfen? Möglicherweise in einigen wenigen Fällen. Das Gros der Gründer wird seine Motivation zur Gründung eines Unternehmens aber wohl eher aus einer großartigen Idee, der Aussicht auf Marktfähigkeit des generierten Produkts oder einer innovativen Dienstleistung und einem unbändigen Umsetzungswillen ziehen. Die Suche nach Investoren steht in dieser frühen Phase einer Unternehmung nicht zwangsläufig im Vordergrund. Die Entscheidung ob man eine Idee ausarbeitet und umsetzt, hängt viel mehr an einfachen und banaleren Aspekten als an der Existenz eines passenden Börsensegments. Die Fragen die sich viele Gründer stellen lauten tendentiell eher: Wie bestreite ich meinen Lebensunterhalt? Wie bzw. wovon soll ich meine Krankenversicherung und meine Altersvorsorge in der frühen Phase des Unternehmensaufbaus zahlen? Welche Fördermittel kann ich bekommen und welche Voraussetzungen muss ich dafür erfüllen?

Wäre es vor diesem Hintergrund nicht sinnvoller, bereits bestehende Fördermöglichkeiten für Gründer zu vereinfachen bzw. einfach mal wieder anzuwenden? Wer sich beispielsweise als Gründer im Raum Stuttgart für den Gründungszuschuss durch die Agentur für Arbeit interessiert, wird relativ zügig herausfinden, dass dieser, seit des Wegfalls des Rechtsanspruch auf die Gewährung des Zuschusses, faktisch abgeschafft wurde. Wer dennoch den Antrag auf den Gründerzuschuss stellt, sieht sich den Ermessensspielräumen und intransparenten Entscheidungen, man könnte es auch als Willkür bezeichnen, des zuständigen Sachbearbeiters, Fall- oder Kundenmanagers ausgesetzt. Förderprogramme der Förderbanken, Ministerien, Netzwerke, Initiativen und Netzwerke sind in großem Umfang vorhanden, die Antragstellung teilweise kompliziert und langwierig, was leider dazu führen kann, dass von einer Antragstellung Abstand genommen wird.

Darüber hinaus fehlt in unserem Schulsystem die Verankerung der Themen Finanzen, Wirtschaft und Steuern in die Lehrpläne. Wer sich mit dem Thema Gründung beschäftigt, kommt sehr früh und zwangsläufig an einen Punkt, an dem es sich mit Fragestellungen zu diesen Themen zu beschäftigen gilt. Ein gewisses Maß an Basiswissen kann hier durchaus hilfreich sein.

Börsenlisting füllt keine Kühlschränke

Wer als Gründer Zeit und Raum zum Experimentieren hat und für einen gewissen Zeitraum seine Existenzängste durch gezielte staatliche Fördermaßnahmen abgefedert weiß, wird vermutlich eher den Sprung ins kalte Wasser und die Unternehmensgründung wagen. Die Aussicht auf ein Listing an einer neu geschaffenen Börse kann keine Existenzängste lindern, zahlt keine Miete und füllt keine Kühlschränke.

Politische Börsen(segmente) haben sprichwörtlich kurze Beine. Vor einigen Jahren waren die gehypten Mittelstandssegmente für Unternehmensanleihen in aller Munde. Diese sollten die von der Politik geforderte Sicherstellung der Versorgung mit Krediten für den Mittelstand gewährleisten. Nachdem diese Sau durch´s Dorf getrieben war, hat die Deutsche Börse AG nun dem Bundeswirtschaftsminister einen echt alten und lahmen Gaul vor das Ministerium gestellt und damit kommunikations- und marketing-technisch tatsächlich hervorragende Arbeit geleistet. Das Pferd das Sigmar Gabriel seit letzter Woche reitet heißt NEMAX und ist bereits seit Jahren tot.

Bleibt festzuhalten, dass eine Börse 2.0 letztendlich wohl ausschließlich im Interesse von Investoren, Beratern, den Börsenberichterstattern und den Dirk Müllers dieser Welt sein dürfte. Letztgenannte reiben sich bereits jetzt wieder voller Vorfreude die Hände, um im Umfeld eines Startup-Segments durch populistisches Bashing von Startups (siehe Berichterstattung zu den IPOs von Zalando und Rocket Internet) Klicks, Einladungen in Talkshows und nette Honorare zu generieren. Auch das ist für die Förderung von Innovation und Gründergeist in Deutschland wenig förderlich.
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Bildquelle: Bankenverband – Bundesverband deutscher Banken unter CC-Lizenz BY-ND 2.0

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