Ministerpräsident Kretschmann: „Die Startupszene muss sichtbarer werden“

Vor rund 6 Woche reiste eine Delegation mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut nach Israel, um mehr über die „Startup Nation Israel“ zu erfahren. Darüber wurde auch in diversen Medien berichtet. Wir von Startup Stuttgart wollten nun  vom MP erfahren, welche Eindrücke er mitgenommen hat und was er daraus für sich und Baden-Württemberg ableitet.

 

Startup Stuttgart: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann, Sie waren bereits 2015 im Silicon Valley um sich ein Bild von einer etablierten Startup-Szene zu machen. Welche Unterschiede haben Sie zwischen den Startup Ökosystemen in Israel und in Kalifornien wahrgenommen?

MP: Es gibt Ähnlichkeiten, so etwa die Kreativität der vielen gründungswilligen und hoch qualifizierten jungen Menschen sowie ihren Glauben an sich selbst. Unterschiede sehe ich in der starken Rolle großer und etablierter Unternehmen im Silicon Valley, den privaten Investoren und dem Imagefaktor Kalifornien, in Israel dagegen bei der wichtigen Rolle des Militärs bei der Anwendung technologischen Wissens und insgesamt auch des Staates bei der Hege und Pflege der Start-up-Szene. Und auch wenn ich den besonderen israelischen Gründerspirit bewundere, sind sich nach meinem Eindruck Israelis und wir kulturell doch sehr ähnlich. Ich sehe deshalb, aber auch wegen der geographischen Nähe, ein großes Potenzial für Zusammenarbeit zwischen israelischen und baden-württembergischen Unternehmen.

 

Ministerpräsident Kretschmann und Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut (Bild: Staatsministerium Baden-Württemberg)

Startup Stuttgart: Wenn wir auf das Startup Ökosystem BW schauen, welche Erkenntnisse haben Sie aus der Reise aus Israel mitgenommen?

MP: Die Start-up-Szene in Baden-Württemberg muss sichtbarer werden. In Israel können Sie in ein Taxi steigen und der Fahrer erzählt Ihnen stolz, dass ein israelisches Start-up gerade einen lukrativen Exit mit einem internationalen Investor vereinbart hat.

Das wird öffentlich diskutiert. Und weil die Israelis so gut vernetzt sind, aber auch flexibel in dem, womit sie ihren Lebensunterhalt verdienen, kann es sein, dass der Taxifahrer entweder selbst Aktien bei dem Start-up hat oder eine Schwägerin das Start-up mitgegründet hat.

Meine zweite Erkenntnis: Die Start-up-Szene ist sehr schnelllebig, gerade im Zeitalter der Digitalisierung. Und trotzdem braucht es Zeit, bis ein Start-up-Ökosystem mit der dazu gehörenden Venture-Capital-Szene eine gewisse Reife entwickelt hat.

Und die dritte Erkenntnis: Es ist schön, eine lebendige Start-up-Szene zu haben. Aber in Israel beobachte ich schon eine gewisse Einseitigkeit. Es gibt dort zum einen nicht so viele große oder etablierte Unternehmen, die auf der Investorenseite stehen. Viele internationale Investoren tätigen daher Aufkäufe in Israel, um dort eigene Forschungsstandorte aufzubauen. Zum anderen konzentriert sich dort heute nahezu alles auf Software.

Gerade als baden-württembergischer Ministerpräsident ist es mir ein Anliegen, dass unsere Wirtschaft auch mit intelligenter Hardware punktet, denn dort liegen unsere Stärken. Ich weiß aber auch: Ein erfolgreiches Start-up mit sprichwörtlich greifbaren Produkten aufzubauen und zu internationalisieren, dauert länger, als ein reines Software-Start-up aufzubauen. Das ist aus meiner Sicht die Königsdisziplin, in der wir in Baden-Württemberg erfolgreich sein wollen.

Vertreter der Stuttgarter Startup Szene mit Wirtschaftsministerin Nicole Hoffemeister-Kraut In Israel (Winfried Richter, Adrian Thoma, Alec Rauschenbusch, Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut, Christoph Röscher, Arndt Upfold)

Startup Stuttgart: Im Koalitionsvertrag der Landesregierung steht auf der Seite zwei als Zielsetzung „Wir werden Baden-Württemberg zur dynamischsten Gründerregion Europas machen.“ Es gibt Kritiker die bemängeln, dass bisher kaum etwas aus der Politik zu spüren ist, um dieses wichtige Ziel zu erreichen. Was würden Sie darauf erwidern und was wir die Landesregierung bis Ende des Jahre noch in die Wege leiten, um diesem Ziel näher zu kommen?

MP: Am 14. Juli 2017 werden Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut und ich gemeinsam den Start-up-Gipfel 2017 eröffnen. Hier wird die neue Gründungsoffensive der Landesregierung vorgestellt. Wir in BW sind ein wichtiger Standort für B-to-B-Gründungen. Auf der Landesmesse Stuttgart, dort findet der Start-up-Gipfel statt, können Start-ups dann auf etablierte Firmen treffen und sich vernetzen. Das müssen wir ausbauen. Hier sehe ich viele Chancen: Für junge Unternehmerinnen und Unternehmer mit guten Ideen und für die Firmen, neue Produkte oder Geschäftsmodelle zu bekommen.

Schwerpunkt des Start-up-Gipfels wird die Präsentation der neun regionalen Start-up-Ökosysteme im Land sein. Wir haben nämlich aktive Gründerszenen nicht nur in Stuttgart, sondern etwa auch in Mannheim, in Karlsruhe und in Freiburg. Die müssen bekannter werden und sich untereinander vernetzen. Hier ist auch politische Unterstützung nötig, so wie wir dies bei der Förderung von Existenzgründungen ja bereits erfolgreich machen. Wir sind hier durchaus im Bundesgebiet an der Spitze.

Startup Stuttgart: Die blühende Gründerszene mit mehr als 5000 Startups in Israel wurde gezielt entwickelt und wäre ohne staatliche Finanzierung nicht entstanden. BW steht finanziell stärker da (BIP/Person) als Israel, warum haben wir dann noch immer keine vergleichbare Förderung von Startups? Konkret – wann bekommt BW einen staatlichen Wagniskapitalfond mit mindestens 100 Millionen Euro?

MP: Das ist kein einfaches Thema. Wir wollen den Landeshaushalt konsolidieren und müssen die Schuldenbremse einhalten. Ich sehe aber auch, dass junge Gründerinnen und Gründer Risikokapital brauchen. Hier müssen wir noch weiter prüfen, was möglich ist.

Startup Stuttgart: BW profitiert von den erfolgreichen Konzernen und dem breiten Mittelstand. Auf der anderen Seite werde viele Talente von den Firmen „aufgesaugt“. Was plant die Landesregierung, um vor allem Studenten mehr Lust auf Gründung zu machen, um damit die Gründerquote zu erhöhen?

MP: Das ist sicher ein längerer Weg. Ganz wichtig ist es hier, das Thema an den Hochschulen stärker in den Fokus zu nehmen, etwa mit entsprechenden Unterstützungsangeboten und Kooperationen zwischen den Hochschulen. Das KIT ist da meines Erachtens schon recht gut aufgestellt. Insgesamt müssen wir die verbreitete Mentalität „Ich darf nicht scheitern“ langsam ändern. Am schnellsten ginge dies, wenn die Wirtschaft nicht so gut liefe – aber das wünschen wir uns ja natürlich nicht!

Startup Stuttgart: Am 14.07 wird es den von Ihnen erwähnten Startup- Gipfel BW auf der Landesmesse geben. Was ist ihre Erwartungshaltung an diese Veranstaltung?

MP: Ich erhoffe mir, dass die Wahrnehmung BWs als Gründerland in Deutschland deutlich erhöht wird. Wir sind nämlich viel besser als viele denken! In Israel halten die Experten BW für viel interessanter als Berlin – weil wir der Industriestandort Nr. 1 in Deutschland sind.

Startup Stuttgart: Wenn wir uns in zwei Jahren wieder sehen – was wird sich bis dahin im Startup Ökosystem BW getan haben. Wofür wird die Region dann international bekannt sein?

MP: Ich glaube, dass der Hype um Berlin eher abnehmen wird und BW auch in der nationalen und internationalen Venture Capital-Szene bekannter sein wird.

Startup Stuttgart: Wenn Sie die lokale Szene in Stuttgart mal erleben möchten, laden wir sind herzlich zu einem unserer Gründergrillen in Stuttgart ein. Wir würden uns freuen, Sie dort mal begrüßen zu dürfen. Vielen Dank für das Interview Herr Ministerpräsident.

MP: Ich werde schauen, ob wir einen Termin finden!

 

Interview von Christoph Röscher (Startup Stuttgart e.V.)

5 Kommentare zu „Ministerpräsident Kretschmann: „Die Startupszene muss sichtbarer werden““

    1. Lieber Bastian,

      vielen Dank für dein Feedback. Kannst du uns vielleicht ein paar Link zu deinen Interviews mit Landespolitikern schicken? Da können wir sicherlich noch etwas von dir lernen. Wir machen das ganze nur ehrenamtlich. Gerne kannst du dich auch per Email an vorstand (at) startup-stuttgart (dot) de wenden. Wir suchen für die Redaktion noch dringend professionelle Unterstützung. Vielleicht kannst du es ja besser machen, dann wäre uns allen geholfen.

      lg

      Michael

    1. Hallo „Irrelephant“, ich bin Adrian, einer der Gründer vom Startup Campus. Der Grund, warum der Startup Campus die Türen schließt ist eher weil mit dem Social Impact Lab Stuttgart (http://stuttgart.socialimpactlab.eu/) ein anderer, exzellenter Betreiber in die Räumlichkeiten einzieht. Es wird also nicht weniger sondern nur anders und der MP kann ausnahmsweise nichts dafür:) VG, Adrian

  1. Pingback: Startup-Stuttgart.de | Stuttgart muss mehr an die Zukunft denken - Interview mit der Wirtschaftsministerin von BaWü

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