Online Expertise von Experten im Minutentakt
Was tun mit dem alten „Schinken“ der Großeltern? Kann man das Ölgemälde vielleicht zu Geld machen? Wenn ja, was könnten es wert sein? Solche und andere Fragen landen auf dem Schreibtisch von Andreas von Brühl. Der 33 Jahre alte Wirtschaftswissenschaftler von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg hat deshalb als Ergänzung zu seinem Auktionshaus noch ein online Startup gegründet – mit dem Namen estimando, was soviel wie ‚zu schätzen / einzuschätzen‘ bedeutet und somit schon aussagt, was es mit der Plattform auf sich hat.
„Wenn es um Kunst und Antiquitäten geht, gibt es mittlerweile auf ziemlich jedem TV Sender ein eigenes Format“, weiß Andreas. Der Gründer ist selbst demnächst in der RTL Sendung „Kitsch oder Kasse“ zu sehen. Das sei gut für seine neu gegründete Plattform estimando, weil es Aufmerksamkeit für ihn und sein Wirken mit sich bringe. Der Jungunternehmer mit dem Auktionshaus von Brühl im Stuttgarter Westen, das er seit mehr als fünf Jahren betreibt, hat aufgrund der vielen Anrufe und E-Mails an sein Haus erkannt, wie wichtig ein Multikanal-Ansatz auch für seine Branche ist. Schon seit 14 Jahren ist Andreas selbständig, so dass ihm das Startup estimando keinen Schweiß mehr auf die Stirn treibt. Der Vater von bald vier Kindern weiß, worauf er sich eingelassen hat.
Auf Nachlassauflösungen spezialisierter Quereinsteiger
„Wir haben beschlossen, uns auf Nachlassauflösungen zu spezialisieren“. Es gehe ihm darum, Menschen zu helfen, ihre Wertobjekte zu einem fairen Marktpreis zu verkaufen. Mit estimando gelinge es ihm, Experten, Verkäufer und Käufer zusammen zu bringen – zu reellen Konditionen. Seine Expertise erhält ein Antragsteller binnen zwei Tagen – für eine Gebühr von 19 Euro. Je präziser die Angaben von Kundenseite, desto besser können die Experten ihre Expertise erstellen. Andreas kooperiert mit Experten aller Fachrichtungen. Den für ein Objekt jeweils am besten geeigneten Experten sucht der estimando spezifische Algorithmus heraus.
Während seines Studiums hin zum Bachelor of Arts hatte Andreas noch keine Erfahrung mit Kunst. „Den ersten Berührungspunkt hatten wir, als wir ein Haus kauften, das noch komplett voll war mit Gegenständen“, erzählt er und erinnert sich, dass er als kleines Kind immer mal wieder auf einen Flohmarkt mitgenommen wurde. „Aber eigentlich bin ich ein Quereinsteiger.“
Think local, act global
„Mein bester Kumpel und der Entwickler der estimando Site ist vor zehn Jahren nach Brasilien ausgewandert“, erzählt Andreas. So stand unmittelbar fest, dass der Ansatz und Anspruch ein internationaler sein würde. „Eigentlich wollten wir die .com Adresse für estimando, um diesen globalen Ansatz gleich zu unterstreichen. Aber die war schon belegt.“ Deshalb die Adresse estimando.de, die zunächst nur auf Deutsch erscheint. Man habe aber durchaus den Ansatz, das Ganze recht schnell auch international anzubieten.
Der Name sollte außer dem Hinweis, worum es geht, vor allem auch cool klingen, international und nach Startup – siehe Zalando. Ein Vergleich, den Andreas nicht scheut, denn er sieht viel Potenzial für sein Geschäft. Als Inhaber seines Auktionshauses hat er schnell festgestellt, dass hier eine Marktlücke klafft.
Verbindlichkeiten schaffen
Täglich bekommt er 50 bis 100 Anfrage, telefonisch, per eMail oder über WhatsApp. „Ganz viele dieser Personen wollen ein Preisangebot“, berichtet er und merkt an, oft habe er geantwortet, erhalte aber häufig keine Rückmeldung, zumal die Fragenden sich gerne gleichzeitig an mehrere Auktionshäuser richten. Diese mangelnde Verbindlichkeit, die nur Zeit frisst, wollte er ändern. So kam es zur Idee für sein Schätzportal.
„Ich merkte, die Leute wollen eine unabhängige Meinung, und die wollen sie sehr schnell – und am besten kostenlos oder günstig“, so der Unternehmer. Der beschloss, diesen Service für ein geringfügiges Entgelt anzubieten. Der Vorteil seiner Plattform liege darin, dass Experten weltweit die eingehenden Anfragen beantworten können. „Der Kunde erhält rasch Antwort und zwar von einer qualifizierten Person.“ Jemand, der sich in einem Bereich auskenne, könne binnen Minuten eine Beschreibung vornehmen. „Von wo aus auch immer, etwa vom Strand oder von einem Kreuzfahrtschiff aus.“ Das garantiert maximale Flexibilität für seine schätzenden Kooperationspartner. Andreas ist sich sicher, dass seine Plattform für alle Beteiligten attraktiv ist – für Kunden, Experten und letztlich auch für ihn selbst als Betreiber.
Expertennetzwerk für Expertisen
Jemanden zu nehmen, der sich in der spezifischen Materie nicht auskenne, sich dann erst mal stundenlang einlesen und recherchieren müsse, bevor er antworten könne, habe keinen Sinn. „Ich brauche schon Leute, die wirklich Experten auf ihrem Fachgebiet sind. Sie erstellen diese Expertisen für die Anfragen, die bei uns auflaufen.“ Das Ziel des Portals estimando sei es, diese zwei Menschen zusammenzubringen, den Ratsuchenden und den jeweiligen Experten. Andreas ist zuversichtlich, dass er rasch ein weltweites Netzwerk von 200 bis 300 Experten für Kurzexpertisen, die auch Handlungsempfehlungen für die Kunden beinhalten, zusammengestellt haben wird.
Ganz wichtig ist ihm zu betonen, dass estimando ein unabhängiges Expertenportal ist, ausgelagert vom Auktionshaus und unabhängig von etwaigen Folgeaufträgen. Mit anderen Worten: Der Ratsuchende zahlt seine Gebühr, hat ansonsten keine weitere Verpflichtungen.
Weltweite Standards durch estimando
Das Team von estimando ist klein und strukturiert: Andreas verantwortet Marketing und Vertrieb, Johann Noebels, Freund und Entwickler des Portals, ist erfahrener Gründer mit Sitz in Brasilien, wo er schon viele Startups gegründet hat.
„Es ist die ideale Konstellation fürs Home Office“, berichtet Gründer Andreas und nennt als Beispiel die Kunsthistorikerin Claudia Paula Wunder, die als Expertin ihre Expertisen stressfrei und ohne Beeinträchtigung ihres Tages mit Kleinkind erledigen kann.
Sein Expertenteam wird Andreas sukzessive erweitern – auch Experten für Möbel und andere Bereiche sollen dazukommen. Der Aufbau dieses weltweiten Teams läuft dieses Jahr auf Hochtouren. Zunächst wird das Portal sich an die deutschsprachigen Länder wenden. Danach soll es zusätzlich englisch und portugiesisch vorhanden sein.
Ein Ziel: „Mit unseren Gutachten wollen wir auch weltweite Standards definieren. Die Meinungen der Experten werden solide sein, so dass sie die Ratsuchenden vor einer potentiellen Dummheit oder dummen Entscheidung bewahren“, sagt Andreas und wirbt mit dem Motto von estimando: ‚Werte online schätzen‘ durch ‚Weltweites Wissen vereint auf einem Portal.‘
Kurzum: Sein Portal brauche es, um die Unwissenheit und Unerfahrenheit des Kunden durch Expertenwissen abzufangen. Als Beispiel nennt der Unternehmer Erbschaften, in denen es oft darum gehe, die Werte eines Erbfalls fair zu verteilen und so dabei zu helfen, dass Erbschaftsstreitigkeiten vermeidbar werden. Der Weg dahin: alles in eine Auktion geben und den Erlös entsprechend unter den Erben teilen.
Skalierbarkeit als Geschäftsmodell
Wenn man zu hunderten von Kunden physisch fahren müsse und die Stunde dann mehr als 80 Euro koste, sei das nicht skalierbar. Online dagegen werde ein Schuh daraus.
Deshalb ist Gründer Andreas zuversichtlich, dass er und sein Expertenpool in fünf Jahren Europa, Nord- und Südamerika mit Expertisen für die Kunden versorgen könne. „Ich sehe da ein Potential von mehreren hundert Expertisen pro Tag. Definitiv.“
Auf dem Weg dahin wolle er in diesem und im nächsten Jahr das Wachstum beschleunigen – via Marketing und weiter entwickelte Technologie.
Wer gründen will, sollte…
Viel Einsatz mitbringen. „Für den Aufbau meines Portals bin ich sehr früh morgens aufgestanden, war immer zwischen vier und fünf Uhr früh im Büro, um zwei bis drei Stunden vor dem Arbeitsalltag konzentriert arbeiten zu können“, berichtet Andreas.
Fleiß, Hingabe und Frustrationstoleranz seien unabdingbar für ein erfolgreiches Gründen.
Zudem habe ihm immer geholfen, die Welt im Flugzeug von oben zu betrachten. „Da kommen mir klare Gedanken, und ich habe mir die Frage beantwortet: Was wollen die Leute.“
Nicht zuletzt lautet sein Rat: Wenn man seine Geschäftsidee ersonnen hat, dann müsse man einfach MACHEN. Die Idee dann auch wirklich umsetzen und nicht von Anfang an höchste Qualität fordern – eine typisch deutsche Eigentschaft. „Hat man die Idee dann erst mal auf die Beine gestellt – wie ich mit meinem Portal – dann geht es ans Verbessern, den Feinschliff. Das kommt nach und nach.“
Die eindeutige Botschaft bei estimando: „Wir sind klar auf Wachstum ausgelegt.“ Dadurch, dass Andreas Schritt für Schritt und besonnen vorangeht, klingt das nach einem überzeugenden Erfolgsmodell.
Text: S.Roeder
Fotos: Andreas von Brühl