Peter Ambrozy: Meine unternehmerischen fuck-ups und Höhen der letzten Monate

Peter Ambrozy ist kein unbekanntes Gesicht im Startup Ökosystem Stuttgart. Gründer von edelight, Business Angel bei Regiohelden, beides mit erfolgreichen Exits. Aktuell unterstützt er das Fashion Startup Mädchenflohmarkt. Vor wenigen Stunden hat Peter ein sehr offenes Posting auf Facebook veröffentlicht, was wir (mit seiner Genehmigung) euch nicht vorenthalten möchten, da es wirklich spannende Einblicke in die Startup Welt bietet. Nun genug der Vorrede, nur eines sei noch erwähnt. Natürlich ist auch Mädchenflohmarkt im StartupSpot BW gelistet:

http://baden-wuerttemberg.startupspot.de/maedchenflohmarkt

Sollte euer Startup hier noch fehlen, dann ganz schnell kostenfrei anmelden. Nun aber zu dem Post:

Meine unternehmerischen fuck ups und Höhen der letzten Monate

Vor knapp einem Jahr habe ich mich entschlossen, das Team von Mädchenflohmarkt operativ zu unterstützen. Und das just zu einem Zeitpunkt, als ich mich an mein sabbatical gewöhnt und realisiert hatte, dass diese „freie“ Zeit quasi eine once in the lifetime-Chance ist.

Es gab zwei wesentliche Gründe für meinen Einstieg bei Mädchenflohmarkt. Zum einen befand sich Mädchenflohmarkt in einer schwierigen Lage, zum anderen wurde mir durch einige Gespräche mehr als bewusst, dass Mädchenflohmarkt kein Projekt, kein Investment, sondern schon immer auch eine once in the lifetime-Chance war. Also tauschte ich quasi eine once in the lifetime-Chance, gegen eine andere. Eigentlich ein low brainer.

Bevor ich auf die inhaltlichen Gründe eingehe, möchte ich kurz erklären, warum ich Mädchenflohmarkt so einschätze. Ich hatte das Glück, in den letzten Jahren zwei Unternehmen (edelight & Regiohelden) mit aufzubauen und zu verkaufen. Beide Unternehmen sind mit neuartigen Ideen gestartet (die erklärungsbedürftig waren), konnten ab einem gewissen Punkt einen Mehrwert für ihre Nutzer und Kunden erzeugen und verfügten über ein tragfähiges Ertragsmodell. Das alles war nicht einfach zu erreichen, aber es ist uns gelungen. So far so good.

Bei Mädchenflohmarkt sind wir in einer anderen Dimension. Mädchenflohmarkt ist nicht erklärungsbedürftig und wir mussten auch noch nie überlegen, ob Frauen uns wirklich brauchen. Im Gegenteil. Ich habe noch nie zuvor eine derartige Entwicklung gesehen und gespürt. Ja, gespürt. Die Freude, mit der hier insbesondere die Mädels im Unternehmen arbeiten ist spürbar (und teilweise hörbar, da es um Fashion geht und Freudeschreie bei neuer Ware nicht ausbleiben). Aber nicht nur das. Wir können mit Mädchenflohmarkt die Welt verändern und wenn uns das gelingt, haben wir sogar einen Beitrag zur Nachhaltigkeit geschaffen. Wie das? Wir wollen Frauen ermutigen immer mehr auf Fast Fashion und zu günstige Produkte zu verzichten und stattdessen Markenprodukte zu kaufen, die (hoffentlich) unter besseren Produktionsbedingungen für Mensch und Umwelt hergestellt werden und die sie gleichzeitig auch wieder weiterverkaufen können. Eine Frau soll bereits beim Kauf eines Produktes wissen, dass sie dieses später ohne Aufwand über Mädchenflohmarkt wieder verkaufen kann.

Unsere Vision lautet daher seit unserem Start „Wir machen das Verkaufen und Kaufen von Pre-loved Fashion bei Frauen zum festen Bestandteil des täglichen Lebens.“.

Jetzt schließt bitte die Augen und versucht zu fühlen, an was wir hier arbeiten. Mädchenflohmarkt ist ein Unternehmen, das ein Problem löst (volle Kleiderschränke), ein Ertragsmodell hat (wir bekommen 10-40% Provision), über zufriedene Kunden verfügt (70% der mtl. Umsätze kommen von Bestandskunden) und eine Vision hat, die Welt nachhaltig zu verändern. Dazu kommt noch ein überdurchschnittlich hoher Bekanntheitsgrad in Deutschland.

Aber warum kann ein Unternehmen mit einer solchen Basis in Schwierigkeiten geraten? Egal wie es sich anfühlt, für Mädchenflohmarkt gelten dennoch klassische Business-Metriken, da hilft auch das Schließen der Augen nichts. Und bei Startups gibt es eine Hauptmetrik und die heißt Cash. Du kannst noch so stark wachsen, du brauchst Cash – zumindest bist du profitabel arbeiten kannst. Und genau daran sind wir im letzten Jahr fast gescheitert und das trotz einer hohen Wachstumsrate und guten Nutzungsraten.

Was war passiert? Wir hatten auf Basis der positiven Entwicklung Anfang 2015 mit Investorengesprächen begonnen. Aufgrund unseres starken Wettbewerbsumfeldes (alle Top-VCs sind mit mehreren Millionen EUR in unseren Wettbewerbern investiert) ist das nicht einfach, dennoch hatten wir drei gute Deal-Möglichkeiten um unsere Zukunft zu sichern.

Einen Deal haben wir abgesagt, da uns die Bewertung zu niedrig erschien und wir nicht demütig genug waren oder anders formuliert: zu überzeugt von uns selbst. Den zweiten Deal haben wir abgesagt, da es sich um einen potentiellen Merger gehandelt hat. Es waren tolle Verhandlungspartner und das Angebot war eine Ehre, allerdings hatten wir das Gefühl, dass wir unsere Vision alleine besser umsetzen können. Und wir hatten zudem noch den dritten Deal im Hinterkopf, der sehr attraktiv war und es gab nur noch einen Call vor dem Notartermin. Dieser Deal ist dann geplatzt, da er zwar attraktiv war aber zugleich etwas fragil (durch den Prozess) und ich mit einem taktischen Verhandlungsfehler das Konstrukt kurz vor closing gekilled hatte.

Das war damals der ultimative fuck up, aber der eigentliche fuck up sollte erst noch kommen.

Wir hatten kein Geld, die bestehenden Investoren waren wenig glücklich (konstruktiv umschrieben) und die Lage im gesamten Team war angespannt, da mittlerweile die Mitarbeiter von den gescheiterten Gesprächen erfahren hatten bzw. es durch unsere Ausgabenpolitik (Marketing wurde QII/2016 auf 0 EUR heruntergefahren) mehr als deutlich wurde. Im August mussten wir dann einen Großteil des Teams freistellen und unser Verbindlichkeiten wuchsen uns fast über den Kopf. Es wäre der perfekte Zeitpunkt gewesen aufzuhören und Mädchenflohmarkt an einen Wettbewerber zu übergeben.

Zum Glück hatten wir bei edelight und den Regiohelden ähnliche Situationen und wir haben immer einen Ausweg gefunden. Bei Mädchenflohmarkt kam dazu, dass wir zwar durch fehlendes Marketing und einem kleineren Team an Reichweite verloren hatten, aber unsere Nutzer weiterhin engaged blieben und unsere Umsätze zum größten Teil durch Bestandskunden kamen. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir bewusst, dass ich mein sabbatical zu Gunsten von Mädchenflohmarkt beenden musste. Mit der Unterstützung des verbliebenen Teams ist es uns dann gelungen einen Plan für 6 Monate zu erstellen. Wir hatten nur ein Ziel, mit leichtem Wachstum profitabel zu werden. Ich konnte mich (klingt schizophren) und die restlichen Investoren überzeugen, dass wir das schaffen und so haben wir eine interne Runde geclosed.

Anfang 2016 hatten wir unsere monatliche cash burn auf unter 20k gedrückt und alle überfälligen Verbindlichkeiten abbezahlt. Wir waren durch die Entlassungen aber auch gezwungen, die gleiche Arbeit mit deutlich weniger Mitarbeitern zu erledigen und dieser Zwang hat – wie so oft – dazu geführt, dass wir uns in einigen Bereichen neu erfunden haben und durch den Einsatz von Technologie um einiges effizienter arbeiten konnten. Nein, das ist kein BWLer blabla. Wir haben in dieser Zeit 6 neue Länder gelauncht und unsere Prozesskosten für das veröffentlichen von Concierge-Artikeln um 65% gesenkt – um nur zwei Beispiele zu nennen.

Trotz allem blieb die Stimmung angespannt und die Zukunft ungewiss. Wir waren offensichtlich zu klein und mussten wieder stärker wachsen. Weitere Kosteneinsparungen waren nicht sinnvoll bzw. Effizienzsteigerungen nicht ausreichend möglich. Klar war auch, die Profitabilität zu erreichen, aber gefühlt nicht mehr zu wachsen ist zwar nett, aber in unserem Wettbewerbsumfeld nicht zielführend. Wachstum wird alleine schon dafür benötigt, die natürliche und unvermeidbare Customer-churn auszugleichen. Wir sind zwar weiter gewachsen aber es hätte zu lange gedauert, bis wir so profitabel wären, dass die Überschüsse ausreichen um sie für neues Wachstum einzusetzen.

Es kam aber noch eine positive Erkenntnis dazu: Mädchenflohmarkt hatte über 12 Monate ohne Marketing und großen Investitionen um das Überleben gekämpft und ist dabei nicht gestorben und auch nicht implodiert. Das zeigt in Ansätzen, dass wir ein junges, aber robustes Unternehmen aufgebaut haben und so konnten wir unsere Investoren erneut zu einer internen Runde überzeugen. Diesmal sah die Planung wieder Teile des Budgets für Marketing vor.

Und jetzt mache ich einen kleinen Sprung zum heutigen Tag.

Ich sitze an diesem Mittwoch vor meinem Rechner und sehe, wie wir auf wieder stark wachsen. In den letzten 3 Monaten betrug unser Wachstum mehr als 70% und unser Lager platzt aus allen Nähten. ebay.de nutzt uns als exklusiver Partner für die Abwicklung eines neues Services und wir haben mit Mädchenflohmarkt aus einem jungen Talent, das plötzlich ins Koma fiel eine junge, aber reifere Leistungssportlerin geformt, die jetzt beweisen muss, ob sie in der Lage ist, einen bzw. mehrere Ultramarathons zu bewältigen.

Ein Vision wie wir sie verfolgen, setzt man nicht in 4 Jahren um. Ebenso kann man sie sich nicht nur mit Venture Capital erkaufen (dennoch ist dies ein wichtiger Bestandteil). Viele übersehen immer wieder, dass wir keinen Shop für Second Hand Mode aufbauen, sondern eine Plattform, die das Kaufverhalten von Frauen verändert. Aber nicht wir verändern das Verhalten, wir schaffen nur die Voraussetzung, dass Frauen überhaupt erst die Möglichkeit und dann die Lust auf Veränderung bekommen und sich diese langsam in ihnen festigt.

Und noch ein Punkt, der uns vermutlich von allen Playern am Markt unterscheidet. Das Gründerteam von Mädchenflohmarkt hat in Summe fast 1 Mio. EUR privates Geld in Mädchenflohmarkt investiert. Das macht man nur, wenn man überzeugt und geduldig ist oder einfach nur vom Wahnsinn befallen wurde ;-)

Vermutlich trifft alles auf uns zu.

Peter Ambrozy

 

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