Portrait Esslingen – Startpunkt für die Gründerreise

Esslingen will im Startup Geschehen als Zukunftsstandort nicht nur am Ball bleiben, sondern in der oberen Liga mitspielen

„Netzwerk, Räume, Gründergeist – das sind die drei Hauptziele, die wir uns als Stadt Esslingen auf die Fahne geschrieben haben, berichtet Marc Grün, Leiter des Wirtschaftsamtes der Stadt Esslingen. 

Eine Frage, die sich die Stadt mit ihren knapp 100.000 Einwohnern stellte, bewegt derzeit auch viele andere Städte in Baden-Württemberg: Wie können wir als Stadt insgesamt innovativer werden? Denn außer Frage steht, dass ein Innovationsruck durch das Land das Land der Tüftler und Denker gehen muss.

Esslingen ist auf dem besten Weg, als bisher Hidden Champion der Startup Kultur ein zusätzlicher Hotspot für Gründungswillige zu werden. Wie machen die das? Und warum wollen die das? Ein entscheidender Teil der Lösung ist das Rathaus, das ein klares Konzept erarbeitet hat und offen ist für Neues. Denn ein disruptiver Wandel muss auch diese Stadt, in der Automobilindustrie und Maschinenbau bisher der Quell von Wohlstand und Fortentwicklung waren, erschüttern und wachrütteln. Dieser Wandel wird ausschlaggebend sein für das Wohl und Wehe der zauberhaften Fachwerkstatt. 

Mit dem Stadtkompass stets auf Kurs

Zwei Buzz Words, Disruption und Startup, bewegen die Gesellschaft zunehmend – auch in Esslingen. Um „als Zukunftsstandort am Ball zu bleiben“, wie es Grün ausdrückt, hat er mit seinem motivierten Mitarbeiterstab einen „Stadtkompass“ ins Leben gerufen. „Es muss uns gelingen, unsere Stadtgesellschaft insgesamt zu motivieren – zu mehr Eigenständigkeit, zu Kreativität, zu innovativen Lösungen. Das bedeutet auch, angstfrei zu werden vor Veränderungen“, beschreibt der Wirtschaftler den anstehenden Kraftakt. Diese Veränderungen, die die nächsten Jahrzehnte deutlich prägen werden, will Esslingen aktiv mitgestalten – mit dem Stadtkompass, der klar die Richtung/en weist.

In diesem Stadtkompass spielt die Gründungsförderung durch die Stadt eine große Rolle. Dazu kommt die Transformation der Innenstadt, die der Gründungsförderung zusätzlich zugutekomme und unter Federführung der Esslinger Stadtmarketing GmbH (EST) und mit Unterstützung der Stadt Esslingen vorangetrieben wird. 

Dass es Esslingen ernst meint mit seiner Gründungsoffensive, manifestiert sich nicht zuletzt in der Person von Innovationsmanagerin Daniela Gorka, die sich seit Sommer 2019 mit Verve für Gründer und die Netzwerkpflege ins Zeug legt.

„Wir brauchen Menschen, die das Morgen vorbereiten“, so die klare Erkenntnis. Daher die Gründungsförderung, die zweierlei Ziele verfolgt: Einerseits will sie Gründer in ihrer Selbständigkeit nach vorne bringen, andererseits diese mit Betrieben koppeln, die es in der Stadt schon gibt, um Netzwerk und Kapital zu fördern. „Mit der Gründungsförderung möchten wir gerne die Festos und Daimlers von morgen großmachen und dafür sorgen, dass sie auch hier bleiben.“ An diesem Prozess soll die ganze Stadtgesellschaft beteiligt sein, weshalb die Gründer nicht „in der Peripherie arbeiten müssen“, sondern mitten ins Stadtzentrum geholt werden sollen. 

Hotspot für Innovation und Gründung im Stadtzentrum 

Umgesetzt hat Esslingen bereits das, wonach die Landeshauptstadt noch sucht: Ein Gründerquartier inmitten des pulsierenden Stadtlebens, wenn Corona ein solches Leben dann wieder zulässt und die idyllische Küferstraße aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt werden kann. Und tatsächlich hat sich die Küferstraße trotz Corona zur Gründermeile gemausert. Genau hier entstanden vergangenes Jahr die Räumlichkeiten der Innovationsmeile Küferstraße. Der Open Space lock mit einladend innovativem Flair und großen, offenen Räumen. Hier können sich Netzwerken und der richtige Spirit ungehindert entwickeln. Gründungswillige können sehr günstig einen Schreibtischplatz auch mal nur für einen Monat mieten und mit ihrer Idee loslegen. Drum herum machen neue Läden auf, ein klares Zeichen dafür, dass die Innovationsmeile „in“ ist. 

Als Kontrapunkt, aber genauso verlockend, steht der 800 Jahre alte Wolfstorturm, das ehemalige Tor zur Stadt am Ende der Küferstraße, für Gründer offen. Seine Räumlichkeiten eignen sich für kleine Workshops oder intime Investorengespräche in rustikalem Ambiente. „Der Vorteil dieses sehr traditionellen historischen Gebäudes im Vergleich zum Open Space sind Räume, die auch mal zugeschlossen werden können und deren Nutzer damit nicht immer in der Öffentlichkeit sind“, sagt Innovationsmanagerin Gorka. Dieses Schaufenstergucken in Sachen Startup ist andererseits genau das, womit der sehr moderne Open Space inmitten der Küferstraße eine Brücke vom Gründergeschehen zur Bevölkerung schlägt und letztere einlädt, einfach mal einzutreten. Niedrigschwellige Angebote sind für Grün und Gorka das, womit sie Gründern und Bürgern den disruptiven Wandel auf breiter Front schmackhaft machen wollen.

Die Masse der Ideen macht’s 

Die Gründer sollen nicht irgendwo auf Wolke versteckt und abgesondert wirken, sondern im Herzen der Stadt die Bürger bestenfalls infizieren mit innovativem Gründergeist. „Bewusst machen wir auch niederschwellige Angebote“, sagen Gorka und Grün. „Ob Florist oder Rentner, alle sollen die Möglichkeit haben zu sagen: Ich hab eine Idee und will mich austauschen mit Leuten, die auch Ideen haben.“ Die beiden Innovationstreiber sind davon überzeugt, dass es viele kleine Projekte braucht, um letztendlich die guten Ideen herauszufiltern. Ideen wie Fahrrad.de, das bislang erfolgreichste Startup, das in Esslingen bereits anno 2013 von René Köhler gegründet wurde – als online Plattform, damals basierend auf dem Fahrradgeschäft seines Vaters.

In Esslingen gebe es zahlreiche interessante Gründerpersönlichkeiten. „Bis zur Fertigstellung der Räumlichkeiten in der Innovationsmeile waren sie eher isoliert. Diese Gründungsinseln, wie wir sie genannt haben, wollten wir zusammenbringen, damit sie sich untereinander austauschen können“, sagt Grün. Mit der Innovationsmeile hat Esslingen dafür jetzt einen Startpunkt. Doch die Pläne der Stadt gehen deutlich weiter. Viele der „Inselbewohner“ waren davon sehr angetan, und so gründeten sie den Verein Makers League e.V. In dieser Liga der MacherInnen stecken Leute, die anpacken und etwas Neues schaffen wollen. Das Narrativ dahinter: Entdecke Deine Superkraft! Jeder hat eine Superkraft, mit der er die Community bereichern kann, meinen die Vereinsgründer. „Die Makers League ist der richtige Ort, um diese Superkraft nicht nur zu entdecken, sondern sie auch mit viel PS auf die Straße zu bringen“, sagt Gorka. Die Stadt arbeite eng und sehr fruchtbar mit der Liga zusammen – in der Rolle des Lotsen. 

Zwar hat sich die Makers League direkt vor dem Ausbruch von Corona im Februar vergangenen Jahres gegründet, trotzdem sind aus den elf Gründungsmitgliedern am Ende des Jahres schon 40 Mitglieder geworden. Allein daran merke man den Bedarf an Austausch, der als Stammtisch zunächst ausschließlich digital stattfinde. Die Mitglieder, so lasse sich beobachten, unterstützen einander stark. „Wer eine Frage hat, findet ganz schnell jemand, der eine Lösung hat. Ein toller Zulauf und alle fiebern darauf, sich auch endlich im realen Leben zu treffen.“

Von Makers League bis Mach ES! 

Der Open Space in der Küferstraße ist das Aushängeschild der Innovationsmeile: Von außen kann man von vorne bis hinten ins Gebäude durchsehen. Architektonisch ist es sehr schön gelöst, das Nutzungskonzept für alle Bereiche gemeinsam von Stadt und Makers League erarbeitet. 

Im Laufe des Jahres, so hoffen alle, soll endlich Leben in die Bude, sprich in den Open Space in der Küferstraße kommen. Die Vereinsmitglieder haben schon Ideen zu Veranstaltungsformaten – bei allen steht das tatsächliche Sich-Begegnen und der Austausch im Vordergrund. „Ich denke, dass es nochmal einen schönen Schub für den Verein gibt, wenn man dann auch außen wahrgenommen wird und sich die Vereinsmitglieder endlich im Space treffen können“, freut sich Gorka über den neuen Hotspot in der Stadt. 

Ihre Rolle sieht Esslingen aber gerade nicht darin, sich von anderen Städten der Region abzuheben. Nein, es geht darum, vereint schlagkräftige zu sein. „Wir als Stadt Esslingen möchten mit den anderen Städten gemeinsam etwas voranbringen. Deshalb haben wir uns mit Filderstadt, Nürtingen und Kirchheim (Teck) zusammengetan und entwickeln unsere Idee Mach es! als gründungsfreundliche Kommune weiter. Auch wieder auf der Grundlage, niederschwellige Angebote zu schaffen“, berichtet Grün und verweist auf den Preis, den dieser Verbund von startup Baden-Württemberg für sein Konzept erhalten hat. 

Vierfache Durchschlagskraft durch starke Städte

MachES“ ist unsere Dachmarke, unter der wir alles in unseren vier Kommunen bündeln, was Gründungsförderung betrifft. Dazu zählt unsere Innovationsmeile oder auch der Wettbewerb Start-U, den wir gemeinsam mit dem Esslinger Stadtmarketing (EST GmbH) initiiert haben“, erklärt Gorka. Es liege auf der Hand, mit den großen Städten des Landkreises die Kommunikation zu bündeln, damit das innovative Denken besser in die Köpfe dringen könne. 

Die Wirtschaftsförderer sind sich sicher, dass die Corona-Krise zu einer erhöhten Gründungsaktivität führen werde, weil die Menschen sähen, dass die alten Geschäftszweige neue Impulse barauchen. Sie suchten also nach etwas Neuem. „Mit Mach es! bieten wir das richtige Netzwerk, um innovativ durchzustarten.“ Und das nicht exklusiv, sondern offen auch für kleine Kommunen, die vielleicht gar keinen Wirtschaftsförderer haben. Denn, so Grün: „Wir als die vier großen Städte sehen uns in der Verantwortung, die Zugpferde zu sein und da die kleinen Städte mitzunehmen – so dass am Ende der ganze Landkreis davon profitiert und dadurch das Netzwerk gestärkt wird.“

Ob Sporthacks für Sportbegeisterte, Gipfelapfelmomente für Meetings im Freien, Fahrrad.de oder Codeatelier für IoT Lösungen, schon Esslingen allein kann mit einer bunten Palette höchst unterschiedlicher Startups jüngeren Datums überzeugen. Keine Frage: In der Quadratur der Ideenschmieden werden aus dieser Region noch viele Innovationen für Schlagzeilen sorgen.

Text: S. Roeder Fotos: Stadt Esslingen

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